Freitag, 6. April 2018

Wir wissen und wir glauben [Glosse]






Ein Engel? Oder jemand mit Rucksack, der gerade in eine Straßenbahn einsteigt?





Es ist wieder soweit: Glossenzeit!

Da einige Arbeiten von mir erfreulicherweise gerade in eine (halbwegs wichtige, 7-wöchige) Ausstellung einjuriert wurden, kann ich die Absage einer anderen Jury, die eine deutlich weniger wichtige, 3-tägige Ausstellung vorbereitet, wunderbar leicht verdauen.
Und gebe zu: Der Einstieg war schon nix.

Bekanntlich kuratiere ich seit 15 Jahren ein kirchliches Ausstellungsprojekt. Und meiner – durchaus umstandslos zugänglichen – Vita ist im übrigen zu entnehmen, dass ich schon in einigen Kirchen sowohl ausgestellt als auch gelesen habe. Und es gibt ein Interview mit mir (etwas verdreht: Ich führte das Interview, aber das ist eine andere Geschichte) in einem Heft der Evangelischen Kirche in Deutschland, weshalb mich ein Pfarrer mal scherzhaft „unsere EKD-Vorzeigekünstlerin“ nannte.

Diese Vor-Informationen (wie gesagt: leicht aus dem Netz zu fischen) waren jetzt nötig, um mein Stirnrunzeln zu illustrieren, zu dem Zeitpunkt, als mich nämlich ausgerechnet ein Atheisten-Verein zu einer Ausstellung(sbewerbung) einlud.
Selbstverständlich habe ich täglich mit Atheisten – oder auch Fast-Atheisten, Möchtegern-Atheisten – zu tun, das ist gar nichts Besonderes. Aber ein Verein, der sich Humanismus auf die Fahnen schreibt, während sich alles Religiöse doch bitteschön ins hinterste kleinste Kämmerlein zurückziehen soll, nein sogar muss (igitt, dieses Kirchenläuten immer …)?
Ich bin ja nun nicht so sehr fürs Missionieren – Missioniertwerden – zu haben, weder so herum noch andersrum. Die Superchristen, scheinbar ständig um mein Seelenheil besorgt, sind für mich genauso ungemütlich wie die militanten Nichtreligiösen, die sich letztlich auch um so was wie mein Seelenheil meinen kümmern zu müssen. Nee, lasst mich in Ruh‘.

Aber ich bin ja auch neugierig. Und mit dem „Humanistischen“ kann ich allemal gut leben; wenn sich alle Menschen in dieser Schnittmenge tummeln würden, gleich ob mit oder ohne Religion, wäre sicher schon viel gewonnen.

Also: Einladungen, auch etwas sonderbare, kann man doch annehmen, dachte ich mir – auch wenn ich mir vorkam wie eine Veganerin, der die Metzgerinnung ein zünftiges Büffet vorsetzen will (oder halt umgekehrt, wie der Fleischfan, der freundlich aufs rein-vegane Terrain gelockt wird).

Humanistisch. Sofort fielen mir meine Menschenbilder ein. Da es (verfremdete) Portraits von Menschen sind, die mir irgendwann zufällig begegnet sind, die etwas „Heiliges“ haben können, aber nicht müssen, fand ich sie passend.

Der Ausstellungstitel „Wissen – nicht glauben“ (oder so) war jetzt vielleicht ein etwas anderer Strang; aber ich hatte keine Lust, auf meinen Bildern irgendwas mit Pipetten oder Petrischalen, Messungen oder Statistiken zu machen. DER MENSCH, so sagte ich mir, ist am wichtigsten, egal, von welcher Seite man kommt. Dass der Mensch immer auch was Geheimnisvolles hat (Vokabeln wie „göttlich“ musste ich mir natürlich abschminken), dafür kann ich nix; und dass allein das Wort „Zufallsbegegnung“ Stoff für einen philosophischen Aufsatz böte, nun ja, das ließe sich bestimmt auch frei von jeder Theologie machen.

Irgendwann wurde ich um nähere Erläuterungen gebeten. Einige KünstlerInnen hätten ihre Arbeiten (bzw. Fotos davon) eingereicht, aber viele davon seien „thematisch ausgesprochen disparat“.  

Hm, und da konnte ich nicht anders als zu sagen, dass Kunst auch irgendwie ‘ne Glaubenssache ist. Dass wir KünstlerInnen keine WissenschaftlerInnen sind. Und ich schrieb eine Mail:

Sehr geehrte …
Ja, ich gehöre ganz bestimmt zu den Disparaten.
Kunst kommt schließlich nicht ohne Widersprüchlichkeit aus. Besonders dann nicht, wenn sich ein Thema wie das Ihre explizit an KünstlerInnen wendet, die bekanntlich gar nicht wissenschaftlich arbeiten.
Und überhaupt … welcher Ausstellungsbesucher will denn schon wissen, dass die allermeisten Kunst-Exponate nur ein Gefüge aus eher einfachen Materialien sind (Papier, Leinwand, Farbe, Holz, …). Zwar hat uns das René Magritte bereits vor etwa 90 Jahren eindrucksvoll vor Augen geführt: „Ceci n'est pas une pipe“; ein Kunstbetrachter möchte aber doch viel lieber ein Glaubender sein – dass da mehr ist als Malgrund und Farbschicht oder ein Metallklumpen.
Und wer kann schon wissen, wie sich individuelle Ästhetik generiert? Vermutlich wäre sie neurologisch zu erklären, es ließe unseren Ausstellungsbesucher aber eher ratlos zurück – denn auch das will er gar nicht wissen.
Gleichwohl habe ich meine Auswahl der Arbeit/en, mit der ich mich bei Ihnen bewerbe, bewusst und gezielt vorgenommen. Da ich viel mit Sprache arbeite, finde ich den Titel schon spannend: Ikonen – irgendwo zwischen (Ost-)Kirche und Marilyn Monroe. Und auch das Ikon (Plural: Ikone) – ein Zeichen, das Ähnlichkeit in der Form des „bezeichneten“ Objekts aufweist, aber eben nicht mit diesem identisch, zu verwechseln ist.
Ich bringe Zufallsbegegnungen „zu Papier“, unsere Wege kreuzen sich irgendwo, irgendwann – die der (verfremdet) dargestellten Menschen und meine. Und ich habe meine Kamera dabei, mache fotografische Skizzen, die ich dann im Atelier malerisch und zeichnerisch weiterführe. Ja, zugegeben: Später weiß ich selbst nicht mehr genau, was fotografische Grundlage ist und wo ich malerisch-experimentell eingegriffen habe. Aber so „geht“ Kunst eben, sie dokumentiert in den meisten Fällen nicht, bildet nicht 1 : 1 ab, sondern entwickelt ihre eigene Ästhetik.
„Die künstlerische Freiheit und Kreativität arbeitet einer vorschnellen Bewertung entgegen und bildet durch die Erweiterung des Wissens über den Menschen einen wesentlichen Weg zur Beförderung der Humanität“, schrieb Erik Schönenberg in einem Katalog zu einer Ausstellung Menschenbilder, die 2010 in Wuppertal gezeigt wurde und bei der ich mit meinen allerersten Ikonen des Alltags mit vertreten war. Ja, das unterschreibe ich gern. Meine Menschenbilder sind zwar schwarzweiß, zeigen aber deutlich, wie bunt die Welt ist. Und da kenne ich kein Pardon, denn nichts anderes als Wissen und Interesse bringt uns dahin, diese Tatsache zu verinnerlichen und zu beherzigen. Aktuell drehen und winden sich einige Leute, um irgendwie das „Deutschsein“ zu definieren. Da kann ich nur sagen: Was für ein Irrglaube!

Nun, es hat nicht gereicht.

Vermutlich hätte ich ein Kreuz zerhacken und eine chemische Analyse neben das Gehäcksel kleben sollen. Oder hätte mir eine Packung kirchlicher Oblaten bestellen können, um sie – beschrieben mit antireligiösen Botschaften – unter die Leute zu bringen. Irgendsowas.

Aber nein. Zum Glück – und da bin ich meinem Schöpfer (oder meinetwegen auch meinen Gameten) sehr dankbar – brauche ich mich nicht zu verbiegen: Ich bin eine Christin, die auf so ‘ner atheistischen Bühne wirklich nichts verloren hat.
Morgen gehe ich in eine – Christuskirche, mein Sohn singt mit bei Karl Jenkins‘ Stabat Mater. Ich glaube, das ist das Richtige für mich. Amen.




Marlies Blauth













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